Wer am 17. Januar diesen Jahres das Theater Heilbronn besucht hat, erinnert sich vermutlich deutlich an die Schülermassen, die das JKG zu der Vorstellung „Terror“ (mehr Infos zum Stück und zur Inszenierung: „http://www.theater-heilbronn.de/spielplan/detail/inszenierung/terror.html“) mitgebracht hatte. Das Bühnenstück des ehemaligen Strafverteidigers Ferdinand von Schirach fesselte dann aber doch die Aufmerksamkeit aller Anwesenden, und bis auf den nahezu ausverkauften Saal war die Aufführung von anderen wohl nicht mehr zu unterscheiden.
Auf Initiative der Ethikkurse der Kursstufe I besuchten letztlich mehrere Kurse (evangelische und katholische Religion JSI, Ethik JSI, sowie die Klasse 10d im Zuge des Faches Deutsch) das Heilbronner Theater, das in diesem Fall mit einem besonderen Konzept von Theater die Zuschauer nicht als bloße Zuschauer, sondern als aktive und urteilende „Schöffen“, in einem konstruierten „Gerichtsdrama“ erwartete.
Die Zuschauer, und damit die Schüler*Innen des JKG, hatten über die Schuld eines angeklagten Luftwaffenoffiziers zu entscheiden, welcher entgegen der erhaltenen Anweisungen und Rechtslage eine terroristische Bedrohung durch ein Passagierflugzeug abwehrte, indem er dieses Passagierflugzeug abschoss. Dabei ist zweierlei zu beachten: Erstens wird der Fall so konstruiert, dass der Abschuss letztlich das einzige bekannte Mittel blieb, die Gefahr abzuwenden, und zweitens in dem Stadion, dass das Ziel des Passagierflugzeuges war, wesentlich mehr Menschen betroffen hätten sein können, als im betroffenen Flugzeug (164 zu 70.000). In der „Schlussabstimmung“ stimmten trotz der entgegen sprechenden Rechtslage ungefähr zwei Drittel des Publikums gegen die Schuld des Angeklagten.
Die Kontexte und Diskurse, die in dem im Stück diskutierten Fall eine Rolle spielen, sind vielzählig. Um eine lose, unvollständige Aufzählung zu geben: Die Fragen nach (i) Gerechtigkeit im Recht oder durch das Recht, nach der (ii) Art und Weise einer erwünschten Urteils- und Prozessweise vor Gericht, die Frage nach der (iii) Außenwirkung und Glaubwürdigkeit gerichtlichen Handelns und des Rechtssystems i. A., nach der (iv) Rolle der Motivlage eines Angeklagten innerhalb eines Prozesses; und letztlich die Frage nach der (v) Interpretation des Begriffs und Rechtsgutes der „Menschenwürde“ sowie der obersten (Handlungs-) Pflicht des Staates, diese „zu achten und zu schützen“ spielten und spielen bei der Beurteilung eines solchen Falles alle eine Rolle. Dass dadurch Schlüsselkompetenzen diverser Fächer gefördert werden können, war eine der Hauptmotivationen für den Besuch des Stückes; und die Gespräche in der Pause des Stückes und im Anschluss daran ließen auf einen diesbezüglichen Erfolg schließen.
Um den Besuch aber nicht nur aus der Sicht der Lehrenden zu beschreiben, sollen einige Schüler*Innen selbst zu Wort kommen. Innerhalb der nächsten Tage werden hier also mehr und mehr Stellungnahmen veröffentlicht werden, die jeweils eine Urteilsfällung mit Begründung enthalten soll.
Es folgen Beiträge und Überlegungen von Schüler*Innen
gez. Kettering
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Schüler*Inn 1: Warum war er für mich unschuldig?
- Der Angeklagte war nicht verantwortlich dafür, dass das Stadion z. B. nicht geräumt wurde.
- Ich finde, dass es Terroristen sonst zu leicht gemacht wird, einfach ein Flugzeug zu klauen.
- In Zukunft sollte es andere Lösungen geben, aber in diesem Moment gab es keine solche.
- Auch ohne Abschuss wären die Menschen vielleicht gestorben.
- Das allerdings ist nicht sicher, vielleicht hätten die Passagiere es doch geschafft, die Terroristen zu stoppen.
- Außerdem hat der Angeklagte den Versuch der Passagiere, die Terroristen zu stoppen, nicht wahrnehmen können.
- Er saß bereits 7 Monate in Untersuchungshaft.
- Der Angeklagte ist keine Gefahr für seine Mitmenschen, warum sollte man ihn dann mit einer Freiheitsstrafe belegen?
Schüler*Inn 2: Ich bin der Meinung, dass der Angeklagte schuldig ist, da er gegen unsere Verfassung verstoßen und ethisch falsch gehandelt hat, da er die Menschen objektiv behandelt hat. Kein Menschenleben ist mehr wert als ein anderes. Es ist egal, ob man 70.000 Menschen rettet indem man 164 tötet. Der Angeklagte hat 164 Menschen umgebracht um 70.000 zu retten. Er hat unschuldige Menschen gegen ihren eigenen Willen umgebracht. Auch wenn er vielleicht tausende Menschen retten konnte, hat er geliebte Menschen, die Familien haben und wichtig waren, umgebracht. Diese Angehörigen werden ihr ganzes Leben darunter leiden. Es macht keinen Unterschied, man darf Menschen nicht als Objekte behandeln.
